Wie flexible Verpackungen in Kreislaufsysteme passen
Flexible Verpackungen gelten vielen als Inbegriff von Einweg – dünn, leicht, schwer zu sortieren und zu recyceln. Gleichzeitig schiebt die PPWR Mehrwegsysteme politisch nach vorne, insbesondere im Getränkebereich. Wie passt das zusammen?
Genau darum ging es im 38. Inno-Talk „Flexible Verpackung und Mehrwegsysteme“. Moderator Karsten Schröder diskutierte mit Jonathan Schröder (CU Mehrweg) und Christian Beinert (IQ-Pak), wie sich flexible Folien sinnvoll in Mehrwegkonzepte integrieren lassen – und welche Rolle Recht, Technik und Akzeptanz dabei spielen.
1. Stimmungsbild: Wie stark wächst Mehrweg bis 2030?
Zum Auftakt holte Karsten die Teilnehmenden mit einer Live-Umfrage ab:
„Welche Wachstumsrate erwarten Sie für Mehrwegverpackungen bis 2030?“
Die Ergebnisse waren bemerkenswert – erwartet werden 45 % Wachstum bis 2030.

Parallel dazu wurden die Segmente identifiziert, in denen das größte Mehrwegpotenzial vermutet wird:
- E-Commerce als künftig stärkster Treiber
- To-Go-Anwendungen (Gastronomie, Take-away)
- Trockene Lebensmittel und Regalware
- Dazu die etablierten Mehrweg-„Leuchttürme“: Getränke und Intralogistik (z. B. Euro-Paletten, Klappsteigen)
Damit war die Klammer für den Talk gesetzt: Mehrweg ist mehr als Flasche und Kiste – und genau hier kommen die beiden vorgestellten Konzepte ins Spiel.
2. Politischer Rahmen: PPWR, Abfallhierarchie und Mehrwegquoten
Jonathan Schröder ordnete zunächst den regulatorischen Hintergrund ein:
- Die PPWR arbeitet mit dem Begriff „Wiederverwendung“ – das entspricht im praktischen Verständnis dem, was wir als Mehrwegverpackung kennen.
- In einer früheren Entwurfsfassung hieß es „wiederverwendbar oder recyclingfähig“. Inzwischen steht dort „wiederverwendbar und recyclingfähig“.
- Konsequenz: Auch Mehrwegverpackungen müssen künftig die Recyclingvorgaben und Quoten erfüllen, die für Einweg gelten.
- Die Abfallhierarchie der PPWR ist klar:
- Vermeidung
- Wiederverwendung
- Recycling
- Mehrweg ist also nicht „nice to have“, sondern integraler Bestandteil der Abfallprävention.
Wesentliche Punkte aus der Einordnung:
- Ziel ist bis 2040 eine Reduzierung des Verpackungsabfalls um 15 % gegenüber dem heutigen Niveau.
- In vielen Bereichen sind die Details noch offen – etwa mögliche Mindestanzahlen an Umläufen für bestimmte Produktgruppen.
- Für Getränkeverpackungen sind klare Weichen gestellt:
- EU-weit müssen bis 2029 Pfand- und Rücknahmesysteme etabliert werden, sofern die 80 %-Sammelquote nicht anders erreicht wird.
- Zusätzlich kommen Mindestquoten für Mehrweg-Getränkeflaschen (ab 2030 z. B. 10 % Anteil an den in Verkehr gebrachten Flaschen).
Für primär verpackte Regalware (z. B. Nüsse, Kaffee, Trockenprodukte) gibt es aktuell noch keine expliziten Mehrwegquoten. Aber: Sobald funktionierende Systeme im Markt etabliert sind, können solche Vorgaben nachgezogen werden. Genau hier positioniert sich CU Mehrweg.
3. CU Mehrweg: Standardisierte Mehrwegbehälter für Regalware
Jonathan Schröder stellte CU Mehrweg als junges Unternehmen vor, das Mehrweg aus der Getränke- und Molkereiwelt in neue Sortimente überträgt:
- Fokus: Regalware und Trockensortiment, aber auch Produkte im Kühlregal – also Bereiche, in denen bisher fast ausschließlich Einweg-Flexpack eingesetzt wird.
- Ziel: Ein standardisiertes Behältersystem, das für viele Marken funktioniert, statt zahlloser individueller Sonderlösungen.
3.1. Systemidee: Kunststoffbehälter mit Fokus auf Alltagstauglichkeit
Der vorgestellte Behälter ist:
- aus Kunststoff gefertigt,
- leicht, stapelbar und konisch geformt,
- für Rücklauflogistik optimiert (ineinander stapelbar, geringes Transportgewicht),
- über Pfandautomaten im Handel rückgabefähig – analog zu Getränkeflaschen.
Warum Kunststoff?
- Geringeres Gewicht im Vergleich zu Glas,
- einfaches Handling in Handel und Logistik,
- bessere Eignung für skalierbare, massentaugliche Systeme, bei denen viele Umläufe erreicht werden müssen.
3.2. Verbindung zu Flexpack: Barriere, Folien und lange MHD
Spannend für die Flexpack-Branche:
- In den Piloten wurden zunächst Mono-PP-Becher eingesetzt.
- Mit steigenden Anforderungen an Mindesthaltbarkeit und Barriere nähert sich das System den bekannten Einweg-Lösungen an.
- Es kommen zusätzliche Barriere- und Dekorfolien ins Spiel, z. B. als IML- oder andere Folienlösungen, um:
- höhere Sauerstoff- und Aromabarrieren zu erreichen,
- Produkte wie Kaffee, Nüsse oder sensible Trockensortimente sicher zu verpacken.
Damit wird klar: Mehrwegbehälter ersetzen Einweg nicht 1:1, sondern kombinieren einen robusten Kern mit flexiblen Folienlösungen, die spezifische Schutzfunktionen übernehmen.
3.3. Praxis: Pilotprojekte und Pfandakzeptanz
CU Mehrweg hat erste Pilotprojekte umgesetzt, u. a. mit großen Handels- und Markenpartnern. Wichtige Erkenntnisse:
- Verbraucherakzeptanz:
- Marktbefragungen mit mehreren hundert TeilnehmerInnen zeigen ein grundsätzlich positives Feedback.
- Die Idee, bekannte Markenprodukte im Mehrwegbehälter zu kaufen, wird verstanden und angenommen.
- Pfandhöhe:
- In einer Umfrage war ein Pfand von 0,50 € am häufigsten akzeptiert, dicht gefolgt von 0,25 €.
- Beträge über 1 € wurden nur von sehr wenigen akzeptiert.
- Die Verteilung im Inno-Talk spiegelte die Ergebnisse aus der Marktforschung gut wider.
Strategisch setzt CU Mehrweg auf:
- regionale Rollouts, um Kreisläufe überschaubar zu halten,
- Systemgewinne durch Standardisierung (wenige Größen, viele Einsatzfelder),
- die Einbindung mehrerer Marken, damit sich Logistik und Wiederaufbereitung rechnen.
4. IQ-Pak: Mehrwegkern mit flexiblen Hygienelayern und NFC-Tracking
Im zweiten Vortrag präsentierte Christian Beinert das Konzept IQ-Pak – ein Mehrwegsystem, das Flexpack-Know-how direkt im Kern des Designs verankert.
4.1. Grundprinzip: System-Layer plus zwei Hygienelayer
IQ-Pak teilt die Verpackung konsequent in drei Schichten:
- System-Layer (Mehrwegkern)
- Robustes Spritzgussteil („grüner Kern“ in der Präsentation),
- hält mengenmäßig ca. 90 – 95 % der Verpackungsmasse im Umlauf,
- enthält einen integrierten NFC-Chip,
- speichert Daten zu Verpackung, Umläufen und Status.
- Content-Layer (innere Hygieneschicht)
- sehr dünne Kunststofffolie,
- bildet alle produktberührten Oberflächen,
- wird im Thermoforming-Prozess in den System-Layer integriert,
- ist anwendungsspezifisch anpassbar (Barriere, Material, Optik).
- Handling-Layer (äußere Hygieneschicht)
- schützt die Außenseite des System-Layers,
- verhindert, dass dieser mit Verschmutzungen in Kontakt kommt,
- kann über Thermoforming oder Sleeve-Prozesse aufgebracht werden,
- bietet Platz für Markenauftritt und Dekoration.
Der Clou: Nach jedem Umlauf werden Content- und Handling-Layer entfernt und sortenrein erfasst, der System-Layer bleibt im Kreislauf – ohne aufwändige Waschprozesse.
4.2. Digitale Komponente: NFC-Chip und Datenbank
Der integrierte NFC-Chip macht aus jeder Verpackung ein digital identifizierbares Objekt:
- Jede Einheit ist in einer Datenbank hinterlegt.
- Über die App (Android und iOS verfügbar) kann der Status ausgelesen werden:
- Wo befindet sich die Verpackung?
- Wie oft war sie im Umlauf?
- Sind Pfandwerte korrekt gebucht bzw. „genullt“?
In der Diskussion spielten zwei Fragen eine große Rolle:
- Wirtschaftlichkeit:
- Der NFC-Chip kostet im Einzelstückbereich einige Cent,
- amortisiert sich aber über viele Umläufe und den Pfandwert,
- die Folien-Hygienelayer liegen kostenmäßig in der Größenordnung klassischer Einwegfolien – allerdings verteilt auf deutlich mehr Umläufe des System-Layers.
- Datenschutz (DSGVO):
- IQ-Pak legt den Fokus auf Verpackungs-, nicht Personendaten.
- Ausgelesen werden soll, ob und wo eine Verpackung unterwegs ist – nicht, welche konkrete Person sie wann genutzt hat.
- Gleichzeitig ist klar: Datenschutz bleibt ein zentrales Thema, das in jedem Projekt mitgedacht werden muss.
4.3. Flexpack-Perspektive: Filmkompetenz als Schlüssel
Für flexible Verpackungen ist IQ-Pak ein besonders spannender Ansatz, weil:
- Die Hygienelayer haben klassische Folienaufgaben:
- barrierestarke Innenschicht (Content-Layer)
- dekorative und schützende Außenschicht (Handling-Layer).
- Anforderungen wie:
- mechanische Stabilität bei dünnen Wandstärken,
- definierte Barriere (Sauerstoff, Aroma, Feuchte),
- gute Abziehbarkeit und sortenreine Trennung
sind genuines Flexpack-Know-how.
Kurz gesagt: IQ-Pak zeigt, wie sich hohe Umlaufzahlen im Mehrweg mit dünnen, funktionalen Folien kombinieren lassen – statt „Mehrweg vs. Folie“ denkt das System in Rollenverteilung innerhalb derselben Verpackung.
5. Was heißt das für die Flexpack-Branche?
Aus den beiden Vorträgen und der Diskussion lassen sich mehrere übergreifende Botschaften ableiten:
- Mehrweg wird breiter – nicht nur im Getränkeregal.
- E-Commerce, To-Go, Trockensortiment und Kühlregal sind Kandidaten für neue Mehrwegkonzepte.
- Dort werden flexible Verpackungen weiter gebraucht – aber in neuen Rollen (Liner, Barriere-Layer, Sleeves, Siegelkomponenten).
- PPWR zwingt zu „Mehrweg UND Recycling“.
- Mehrwegverpackungen müssen langfristig genauso recyclierbar sein wie Einweg.
- Das betrifft Materialwahl, Mehrschichtaufbauten und die Gestaltung der Hygienelayer.
- Standardisierung schlägt Insellösung.
- CU Mehrweg betont standardisierte Behältergrößen.
- IQ-Pak setzt auf ein klar strukturiertes Schichtmodell.
- Für Folienhersteller und Konverter heißt das: Lösungen entwickeln, die in standardisierte Plattformen passen, statt nur in individuellen Sonderverpackungen zu denken.
- Digitalisierung ist Ermöglicher, nicht Selbstzweck.
- Ohne saubere Daten zu Umläufen, Zuständen und Standorten lassen sich Mehrwegsysteme kaum effizient betreiben.
- NFC, Apps und Datenbanken eröffnen neue Möglichkeiten – müssen aber wirtschaftlich und datenschutzkonform umgesetzt werden.
6. Ausblick: Flexpack 2030 – Einweg, Mehrweg und alles dazwischen
Zum Schluss des Inno-Talks wurde der Bogen wieder weit aufgespannt:
- Die kommenden Jahre werden zeigen, in welchen Segmenten Mehrweg tatsächlich skaliert – und wo optimiertes Einweg-Flexpack weiterhin die pragmatischere Lösung bleibt.
- Klar ist aber schon jetzt:
- Flexible Verpackungen bleiben ein zentraler Baustein der Kreislaufwirtschaft,
- ob als klassische Einwegfolie, als funktionaler Liner im Mehrwegsystem oder als hochspezialisierter Barriere-Layer.
Wer tiefer in diese Themen einsteigen möchte, findet dazu u. a. auf dem Inno-Meeting „Flexpack 2030“ und in weiteren Inno-Talks von Innoform Coaching vertiefende Vorträge, Praxisbeispiele und Diskussionsrunden.
Der 38. Inno-Talk hat gezeigt: Die Frage lautet nicht „Flexpack oder Mehrweg?“, sondern „Wie gestalten wir Mehrweg mit Flexpack intelligent?“
Schreibe einen Kommentar